Gregor Seberg

Lieber Herr Seberg, eine kleine Schleimspur zum Einstieg: Das Feuilleton hat Sie einen „schlagfertigen, frechen Schelm“ getauft. Zufrieden mit dieser Beschreibung?

Sehr zufrieden. Nicht ganz zufrieden. Was sie vergessen haben ist naiv, patschert und leicht belämmert. Aber sonst trifft es hoffentlich zu.

Sie verbrachten Ihre Kindheit in einer wenig schmuckvollen Gegend in Graz - in der Triestersiedlung. In einem sehr berührenden Porträt schildern Sie eine Lebensschule in einer prägenden Gegend - was war prägend und lehrreich?

Ich glaube die Mischung. Also ich erinnere mich, dass wir glücklichste Kinder waren. Da war so ein kleiner Abhang und dort stand eine Trauerweide und wir sind ganz hoch geschwungen. Und 5.000 Meter unter uns waren Brennnesseln, da sind wir dann reingeflogen. Dann haben wir gleich so Tests gemacht, wie man durch Brennnesseln gehen kann. Dann haben wir irgendwelche Dinger gepflückt, die konnten wir rauchen. Und unsere „Feinde“ haben wir nackt ausgezogen und an den Baum gebunden. Das war die höchste Strafe. Und Brennnessel und Schnecken draufgeben und gehen – und hoffen, dass du am nächsten Tag nicht selbst drankommst. Das war die eine Seite. Die andere Seite war, dass das halt eine Gegend war – heute würde man sagen, wo das Prekariat zu Hause ist. Es gab dort viele Menschen mit geringem Grundeinkommen. Aber so in der Rückschau ist es dann eigentlich klasse, durch diese Art von Schule gegangen zu sein. Und weil die Wohnungen so klein waren, waren alle draußen. Es war eigentlich so ein „Little Italy“, immer alle auf der Straße. Es war eine Art von Zusammenhalt. Das Lustige dabei war, dass die, die tagsüber zusammengehalten haben, am Abend dann ins Auto eingebrochen sind, von dem, mit dem sie tagsüber geredet haben. Das erdet natürlich.

„Zwangsübersiedelt“ seien Sie mit 14 nach Wien geworden, haben Sie einmal gemeint. Das ist jetzt ein Vorgriff auf unsere Steiermark-Fragen. Könnten Sie sich vorstellen, wieder in Graz zu leben?

Ich habe das sogar ernsthaft vor. Es könnte sein, dass mir Wien irgendwann – darf man ordinär reden hier? – so aufn Arsch geht, dass ich sage, ich will wieder nach Graz, weil es für mich schöner ist, weil es näher am Meer ist. Das ist übrigens das einzige Manko in der Steiermark, dass wir kein Meer haben. Die Lebensqualität ist einfach hier größer. Also ich könnte es mir wirklich vorstellen. Lange Zeit konnte ich das nicht, da habe ich mir gedacht, ich kann in Österreich nur in Wien leben. Alles andere ist mir immer viel zu eng und viel zu klein. Aber jetzt habe ich es eh gesehen. Und Meer haben sie auch keines.

Ihre Rolle als Oberstleutnant Nowak in ,,Soko Donau“ hat wesentlich zu Ihrer Popularität beigetragen. Dort hätten Sie locker in Pension gehen können, aber Sie sind ausgestiegen, weil Sie schauen wollten, was es sonst noch gibt. Was haben Sie gesehen?

Ja das, wonach ich immer suche. Die Vielfältigkeit. Ich habe so ein unfassbares Glück, dass ich beinahe alle Facetten meines Berufes ausüben darf. Ich kann drehen, ich kann Theater spielen, ich mache Kabarett, ich mache liebend gerne Lesungen. Ich habe ein Musikprogramm. Die Zeit bei Soko möchte ich nicht missen, es war super, aber mein Leben war natürlich irgendwann sehr eingeschränkt. Und jetzt habe ich wieder diese Vielfalt. Ich kann jetzt mehr Gerichte von der Speisekarte kosten als vorher.

Sie gelten als Raubein und Querkopf und auch als begnadeter Schmähführer. Geht Ihnen - in Zeiten wie diesen - auch manchmal der Schmäh aus? Oder anders gefragt: Wie kann man beim Blick auf unsere Welt noch lustig sein?

Also mir geht mehrfach täglich der Schmäh aus. Schon das erste Mal in der Früh, wenn man Nachrichten schaut, ist der Schmäh kurz weg. Und dann tagsüber. Also ich bin der Meinung, es geht nicht ohne Humor. Ich würde sogar das Lachen in die Verfassung schreiben. Wir müssen es tun. Außerdem, wer lacht und Witze macht, ist ein bisserl weniger zähmbar. Ich finde, dass die Mächtigen ausgelacht werden sollten. Bist selber schuld, wennst mächtig bist, wirst ausgelacht. Das halte ich für sehr, sehr wichtig.

In Ihrem jüngsten Soloprogramm - Wonderboi - wundern Sie sich lustvoll-nachdenklich durch die Welt. Sind Sie Opti- oder Pessimist?

Ich bin Optimist. Wenn ein Tropfen Wasser im Glas ist, ist es für mich fast voll. Weil es ist ja noch ein Wasser drin. Also ich bin Optimist.

Sie leihen der renommierten ORF-Serie „Universum“ ihre Stimme. Wohl auch, weil sie einmal gesagt haben, wenn Sie groß sind, werden Sie Naturforscher. Dazu gehören auch Wurzeln. Wie tief sind die noch in die Steiermark?

Also, wenn ich ein Baum wäre oder ein Gebüsch, dann habe ich lange Zeit versucht, nach oben zu wachsen und viele Blätter zu entwickeln. Jetzt wachse ich nach unten, momentan wachsen die Wurzeln. Diese Verbundenheit mit der Steiermark wächst wieder. Ich könnte sie gar nicht genau in Worte fassen. Meine Mutter, meine Schwester und meine Nichte wohnen hier, die besuche ich natürlich. Mit dem Land Steiermark selber – ich könnte nicht erklären, was es ist. Vielleicht entwickelt man wieder so eine Erdverbundenheit, weil schon der Sensenmann winkt. Nein, er winkt ja nicht. Es wird mir eigentlich immer bewusster, dass ich von da komme. Und ich bin eher ein Fluchttier. Und jetzt denke ich mir, es ist aber schön, die Stalltür ist eigentlich immer noch offen. Es ist ein Gefühl von Liebe.

Sie ecken ja nicht ungern an, auf der anderen Seite beschreiben Sie sich als harmoniebedürftig - wie geht denn das zusammen?

Das hat unmittelbar miteinander zu tun, weil ich so harmoniebedürftig bin. Und weil das nicht immer geht, muss ich anecken, damit Harmonie entsteht. Wenn ich jetzt 20 wäre, dann würde ich mich auf die Straße kleben, nicht nur mit der Hand, sondern mit dem ganzen Körper. Aber eine Hand würde ich freilassen, damit ich denen in die Goschn hauen kann, die mich wegtragen wollen. So in etwa.

Was macht denn die Steiermark aus Ihrer Outside-Perspektive aus?

Einfach gesagt: Die große Welt hält hier in der Steiermark im Kleinen ihre Probe ab. Die Steiermark ist so vielfältig, sie ist schön. Sie hat viel Industrie, viel Technologie. Die berühmtesten Österreicher weltweit kommen aus der Steiermark. Sie ist so eine kleine, perfekte Welt, das macht für mich die Steiermark aus. Natürlich gibt es andere schöne Bundesländer auch. Aber die Steiermark ist so komplett.

Wie verfolgen Sie die Geschehnisse in ihrer Heimatstadt Graz, wie nehmen Sie die Steiermark wahr?

Wirklich ganz genau kenne ich mich nicht mehr aus, weil einfach so viel passiert. Ich kenne jetzt eher die Wiener Politik. Allerdings durfte ich zum Thema „40 Jahre Rechnungshof“ sprechen. Ich war der erste Redner, und ich habe denen gesagt, ihr habt eh zwei Fehler gemacht. Erstens mich als Erstes und zweitens ohne Zeitbeschränkung und ohne Themenvorgabe reden zu lassen. Hinter dem Sprecherpodium ist so eine kleine Kantine und da bin ich rausgegangen, weil ich schnell aufs Klo musste. Und dann kam ich nicht mehr rein, weil da sind so Sicherheitsschleusen – war alles zu. Und das Handy hatte ich auch nicht dabei. Und da habe ich mir gesagt, da drinnen sagt jetzt sicher gerade jemand: „Und jetzt kommt Herr Seberg". Der kommt aber nicht, weil der steht ja draußen. Und dann habe ich einfach alle Türen probiert und bin irgendwie wieder reingekommen. Und das liebe ich an der Steiermark: Sie haben zwar schon Schleusen, aber einen Seiteneingang gibt es immer.

Wie würden Sie einem Blinden die Steiermark erklären?

Die Steiermark schaut aus dem Weltall aus wie ein Schwein mit Klumpfuß. Aber das Schwein ist ein Glücksbringer. Und das ist wieder die Vielfältigkeit der Steiermark. Sie ist eigentlich ein Glücksbringer, aber ein bisschen hatscht sie manchmal.

Die steirische Mundart haben Sie ja sicher noch drauf: Dürfen wir um eine Kostprobe bitten?

Reiss ob Hawi, a Suppn ohne Maggi is Wossa.

Apropos Maggi. Sterz mit Kaffee und viel Maggi dazu ist ja ein außergewöhnlich Geschmackskombination, die Sie mögen. Was schmeckt denn sonst noch?

Gibt es noch andere Sachen außer Maggi? (lacht). Zum Beispiel Frittatensuppe, die ist wahnsinnig super. Ansonsten bin ich eher nicht so, dass ich sage, das habe ich gerne. Aktuell finde ich Fisch super. Was ich nicht mag, das sind so fettige Sachen. Lange Zeit galt die Meinung, dass ich mich ausschließlich von steirischem Wurzelfleisch ernähren will. Und daher habe ich es ständig bekommen. Das hat dann schon Mühlgang-ähnliche Reflexe in mir ausgelöst, wenn ich es gesehen habe. Aber ich mag es schon noch gerne. Ich bin ja Jung-Papa und seither koche ich total viel. Viel, ob ich gut koche, weiß ich nicht. Aber viel und gern und frisch. Mein Sohn mag auch Fisch, aber wahrscheinlich nur, weil ich ihn dazu gezwungen habe.

Wohin geht’s, wenn Sie wieder einmal in Graz sind?

Leider Gottes komme ich kaum wohin, da ich immer nur kurz in Graz bin. Dann besuche ich meine Mutter, die südlich von Graz wohnt oder ich bin bei meiner Schwester und gehe mit dem Hund spazieren. Das tut mir weh, weil ich weiß schon – heuer zu Weihnachten sind wir in der Innenstadt herumspaziert und das war so schön. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich sicher auf den Glockenspielplatz gehen, in die Sporgasse und dann natürlich in die Triester Siedlung schauen, was sich getan hat. Mein Freund und ich wollten ja das Hochhaus verhindern. Jetzt kann ich es ja sagen, weil jetzt ist es verjährt. Wir haben sicher 10.000 Fensterscheiben eingeschlagen, weil wir der Meinung waren, wenn wir die Scheiben immer kaputtmachen, werden sie das Hochhaus nicht fertig bekommen und irgendwann aufgeben. Haben sie aber nicht…

Und wenn Sie mit ein paar Kumpels hier unterwegs sind, was würden Sie denen gerne zeigen?

Dann würde ich mit ihnen durch eine der ganz engen Gassen von Graz gehen, die von der Herrengasse weggehen. Und wenn sie dann die Augen zumachen, glauben sie, sie wären in Italien.

Sie sind GAK-Anhänger. Und sind angeblich der Meinung, dass die Roten schon bald die Champions League gewinnen werden. Woraus schöpfen sie diesen Optimismus?

Vielleicht wenn uns die Champions League ein bisschen entgegenkommt und es außer gutem Fußball auch andere Kriterien gäbe. Nein, es ist so. Der Mensch muss an irgendetwas glauben. Und je unmöglicher der Wunsch, umso schöner ist es, wenn er dann in Erfüllung geht. Ich glaube, irgendwann gewinnt der GAK die Champions League, vielleicht wenn diese gar nicht mehr existiert.

Wovon träumen Sie sonst noch?

Dass ein Komet auf die Erde trifft, der irgendwelche außerirdischen Stoffe mit sich trägt. Und die verteilen sich auf alle kriegswütigen, depperten Männer – und mit einem Schlag werden die wieder normal.