Christian Wehrschütz | © STG | Jesse Streibl Christian Wehrschütz | © STG | Jesse Streibl
💚-Botschafter

Christian Wehrschütz

Christian Wehrschütz, ein überzeugter Steirer, ist ein gefragter Mann. Der renommierte ORF-Korrespondent und Balkan-Experte ist die Stimme aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine und wurde für seine außergewöhnliche journalistische Arbeit und seinen persönlichen Einsatz mit einer Romy gewürdigt. Wir sprachen mit unserem Herzbotschafter aus Graz über seine gefährliche Arbeit, seinen Buch-Besteller und wie man zum besten Großvater überhaupt wird.

Ihr neues Buch ist der Bestseller in Österreich, Sie haben sogar besser verkauft als Prinz Harry. Ist dieses immense Interesse nicht erstaunlich?

Ja, es war jedenfalls auch unterwartet. Denn als wir den Vertrag mit dem Verlag unterschrieben haben, sind wir von einer Startauflage von 3.000 Stück ausgegangen. Wenn man Wolodymyr und Wladimir als PR-Agentur hat - so unerfreulich das auch ist - dann hat das natürlich auch zu diesem „Run“ geführt. Wobei ich glaube, dass es noch einen weiteren Grund gibt: Das Buch ist keine schwere Kost. Ich habe ja auch Sachbücher über Jugoslawien und die Ukraine geschrieben, das ist schon etwas, wo man sich viel stärker konzentrieren muss. Wenn das neue Buch ein Wein wäre, dann würde ich sagen, das ist ein süffiger Wein. Man kann es so zwischendurch lesen und es zeigt die Geschichte, die hinter der Geschichte ist, damit der Leser auch den Einblick bekommt, dass ein Journalist nicht nur einer ist, der 30 Sekunden vor der Kamera steht, sondern dass dahinter viel mehr steckt.

Vor kurzem sind Ihnen die Schrapnelle um die Ohren gepfiffen - die bedrohlichste Situation in ihrem Kriegsreporter-Leben?

Eine der bedrohlichsten Situationen. Das Schlimmste war eigentlich der Beschuss unseres Hotels in Nikopol. Da hatten wir großes Glück, dass die Zimmer nicht getroffen wurden. Das größte Glück hatte mein Fahrer, weil 50 cm vor dem Eingang zu seinem Zimmer sind die Schrapnelle durch das Dach durchgegangen. Das Dach, das Auto waren schwer, die Zimmer spürbar beschädigt, aber wir sind heil geblieben. Aber ganz generell: Wenn sie in einer Stadt sind, in der es Artilleriebeschuss gibt, dann können sie immer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sein. Man ist daher immer einer Bedrohung ausgesetzt, die bei den heutigen Waffensystemen nicht greifbar ist. Ich hatte auch sehr brenzlige Situationen am Balkan. Der Mazedonien-Konflikt 2001, da wollte ein Albaner eine Handgranate in einen Checkpoint, in dem wir gerade waren, werfen. Er wurde vorher erschossen. Aber auch Demonstrationen können sehr gefährlich sein. Wir waren im Herbst 2000 mit Vojislav Kostunica im Wahlkampf durch Serbien. Ich war im Kosovo vor der Bühne und jemand hat einen Stein geworfen. Ich konnte mich geistesgegenwärtig gerade noch bücken, aber der Mann hinter mir hatte ein blutiges Schienbein.

Wie geht es der Familie mit solchen Szenarien?

Das ist die Frage, die die Familie am meisten hasst. Auch wenn sie so oft gestellt wird, dass ich mittlerweile eine Standardantwort habe. Also meine Frau hat schon die Einstellung, wonach dir das Schicksal oder der Tod durch eine gewisse Lebensuhr bestimmt ist. Wir sind alles keine Hasardeure oder potentielle Selbstmörder, die dort in die Einsätze gehen. Aber ich gebe ihnen ein Beispiel. Nehmen sie den Michael Schumacher. Sieben Mal Formel-1-Weltmeister, dann geht er Skifahren, stürzt an einer leichten Stelle und ward seitdem nicht mehr gesehen. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass einem in Graz ein Dachziegel auf den Kopf fällt geringer, als dass sie in der Ost-Ukraine mit Artillerie beschossen werden. Aber sagen wir einmal so - das Schicksal kann sie überall treffen.

Der Titel ,,Mein Journalistenleben - Zwischen Darth Vader und Jungfrau Maria, wie sind Sie darauf gekommen?

Das war bei der Besprechung im Verlag auch deswegen, weil es quasi Ukraine und Balkan abdeckt. Darth Vader war bei der Parlamentswahl der Spitzenkandidat der Internetpartei in der Ukraine 2015. Der ist tatsächlich in der Uniform von Darth Vader aufgetreten. Jungfrau Maria führt nach Bosnien, in die Herzegowina nach Medjugorje. Wir hatten dort einen Beitrag zu machen mit einer der Damen, die angeblich vor 40 Jahren eine Marien-Erscheinung hatten. Wenn sie dort ist, verfällt sie immer in Trance und bekommt dann angeblich eine Botschaft der Gottesmutter, die ein junges Mädchen aufschreibt. Ich bin davon überzeugt, dass ich der Einzige bin, der sagen kann, dass er je eine Botschaft der Gottes-Mutter vom Kroatischen ins Deutsche übersetzt und im ORF auf Sendung gebracht hat.

Christian Wehrschütz | © STG | Jesse Streibl
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Sie sind der Kriegserklärer der Nation – wie schwierig ist es, diese komplizierten Inhalte so herunterzubrechen, dass die Leute dies auch verstehen?

Ich würde einmal sagen, dass das generell eine Gabe ist. Es ist eine Gabe, komplizierte Sachverhalte erklären zu können. Und je komplexer das Thema ist, umso größer ist die Gabe, die sie haben müssen. Ich versuche immer, mir vorzustellen, was könnte eine Frage sein, die entweder meine Enkelin stellt oder die jemand stellt, der eigentlich weder ein Militärspezialist noch sonst irgendetwas ist. Ich versuche, es plastisch und klar zu erklären und offensichtlich gelingt mir das gut. Wobei ich sagen muss, es handelt sich hier um etwas sehr Komplexes, weil so viele Variablen dabei sind. Ich vergleiche das immer mit der Berichterstattung über einen Autounfall. Auch ein Lokaljournalist, der über einen Autounfall berichtet, macht im Grund nichts anderes als ich. Du hast zwei Konfliktparteien, in der Regel ist einer schuld, der andere weniger. Aber auch der weniger schuld ist, muss nicht immer die Wahrheit sagen. Das wäre sozusagen dann das Kriegsopfer. Es kommt dazu, dass wir nicht wissen, was der Putin gerade mit dem chinesischen Präsidenten oder Joe Biden mit dem Scholz bespricht. Es ist halt komplex. Journalisten leiden darunter - und das ist eine Tendenz, die immer stärker wird - dass sie glauben, sie müssen auf der Seite des Guten stehen. Das schöne am Leben ist sowohl am Balkan als auch in der Ukraine, dass es in der Regel immer mehr oder weniger Böse gibt. Das ist jetzt keine Abschwächung der Aggression, die Putin vom Zaun gebrochen hat. Aber es gibt diese Grautöne. Ich bemühe mich klarzustellen, das ist nicht mein Krieg und ich versuche den Österreichern die Möglichkeit zu geben, nach dem, was ich sage, ihre Meinung zu bilden. Das verstehe ich unter Journalismus.

Sie schreiben, dass man im Krieg immer in ,,Gottes Hand“ ist. Wie halten Sie es mit Gott? Oder anders gefragt: Sind Sie gläubig?

Ich bin natürlich sehr stark durch die katholische Kirche und insbesondere durch den Franziskaner Orden geprägt, weil dort habe ich ministriert. Ich bin sozusagen am Grazer Franziskaner Platz 13 sozialisiert worden. Dort war auch das Geschäft meiner Mutter. Wir sind dann immer hinten hinein gegangen ins Kloster und zur Franziskaner Kirche. Sie ist für mich die Kirche, wo ich mich wirklich am wohlsten fühle. Dort fühle ich mich irgendwie heimisch. Ich würde eher sagen, ich halte Gott für möglich, ich halte ihn auch für wünschenswert. Real gesehen bin ich eher Agnostiker. Aber wie heißt es so schön, „die Not lernt beten“. Eigentlich bete ich vor dem Einschlafen immer, und da insbesondere um meine Kinder und meine Enkeltochter.

Sie gelten als standhaft, unerschrocken und wehrhaft – was ist journalistisches Prinzip?

Leopold von Ranke, der Historikerpapst, hat einmal gesagt, was die Aufgabe der Geschichtsschreibung ist. Zu beschreiben, wie es gewesen ist. Unsere Aufgabe ist es, zu beschreiben, wie es ist. Das heißt nicht, dass wir keine moralischen Prinzipien haben, aber zuerst geht es einmal darum, was ist Sache, was ist passiert. Und wir haben nicht Richter, Henker, Staatsanwalt in einer Person zu sein.

Christian Wehrschütz
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Sie gehen als Balkan-Korrespondent ins 25. Jahr. Bald genug von diesem Teil der Welt? Oder würden Sie gerne auch einmal von anderswo her berichten - wenn Ja, von wo?

Es gäbe natürlich ein Land, das mich sehr interessiert. Aber das würde zu weit weg sein. Das wäre die Mongolei. China kommt nicht in Frage, weil die Sprache erlerne ich nicht mehr. Es gilt hier generell das Prinzip „Lieber der Erste im Dorf als der Zweite in Rom“. Und der Balkan ist für Österreich wichtig, die Ukraine ist für Österreich wichtig und Österreich ist für den Balkan wichtig, mit einer gewissen Einschränkung ist Österreich auch nicht unwichtig für Teile der Ukraine. Wir haben historisch, kulturell, von den Menschen her gesehen eine enge Verzahnung. Wenn es meine Kraft erlaubt, dann möchte ich auch am Balkan und in der Ukraine in Pension gehen.

Sie besitzen ein Haus auf der Teichalm. Ein Kraftort?

Ja. Die Teichalm ist zutiefst mit meiner Kindheit verbunden. Ich habe dort Skifahren gelernt. Meine Kinder haben dort unter anderem ihre ersten Schi-Erfahrungen gemacht. Und jetzt im Winter – leider bei wenig Schnee – hat meine Enkelin begonnen, Schi zu fahren. Ich hoffe, dass diese Beziehung, die ich zur Teichalm habe, auch auf meine Enkelin übergeht. Es ist einfach eine wunderschöne Gegend und wirklich ein Ort, wo man sagen kann, du kannst dich entspannen. Meine Enkelin liebt das Almhaus deswegen, weil sie dort mit dem Posthorn von meinem Urgroßvater herumblasen kann und kein Nachbar regt sich auf. Also, das hat schon sehr große Vorteile.

Wohin verschlägt es sie sonst noch, wenn sie im Land sind?

Ganz generell ist natürlich die Weinstraße genauso schön wie das Skifahren in Haus im Ennstal. Die Steiermark ist überhaupt ein schönes Bundesland. Aber ganz generell: Für mich ist es dort am Schönsten, wo meine Familie ist, meine Frau, meine beiden Töchter und ihre Ehemänner und meine Enkelin. Die Thermen sind auch sehr schön in der Steiermark. Was mich sehr stolz macht ist, dass meine Enkelin mit dem Opa schon zweimal ganz unten im Katerloch war. Lurgrotte und Grassl-Höhle haben wir noch nicht angeschaut. Das sind ganz einfach Sachen, die wahnsinnig verbinden.

Sie sind in Graz geboren. Gibt es prägende Erinnerungen?

Oh ja. Wir galten im Marien-Institut in der Grazer Kirchengasse ja als die unerziehbarste Klasse, die es in dieser Schule ja seit Jahrzehnten gegeben hat. Was ja gestimmt hat, wir hatten ein sehr enges Verhältnis zum Schulwart. Weil damals haben Haushaltsversicherungen Glasbruch noch problemlos bezahlt. Wir haben in jeder Pause mit dem Tennisball Fußball gespielt im Gang, da ist es häufig dazu gekommen. Es ist aus sehr vielen meiner Kommilitonen etwas Interessantes geworden, wir sind als „Alte-Herren-Gruppe“ bis heute in Kontakt. In Erinnerung ist mir auch der Burggarten geblieben, wo ich in der Regel auch für mein Studium gelernt habe. Der Schloßberg mit dem Hackher-Löwen natürlich. Die einmalige Doppelwendeltreppe in der Grazer Burg, die habe ich meiner Enkelin schon gezeigt. Eine Erinnerung ist mir auch aus meiner Schulzeit geblieben. Wir haben am 6. Juni 1980 maturiert. Und ich stand vor dem Schuleingang, und da kam ein älterer Herr auf mich zu und hat gefragt, wo es zur Direktion geht. Und ich sag es ihm und frage ihn, warum er das wissen will. Und er sagte, er habe vor 40 Jahren hier die Kriegsmatura gemacht. Damals dachte ich mir: 40 Jahre, das kann ich mir gar nicht vorstellen, dass das bei mir einmal ist. Ich habe jetzt auch schon vor 40 Jahren maturiert.

Sie waren damals schon neugierig.

Ich war immer neugierig, das gehört dazu.

„Die steirische Küche ist schon verdammt gut“

Sie beherrschen acht Sprachen. Haben Sie das Stoasteirisch noch drauf?

Naja, das weiß ich nicht so richtig. Aber es gibt einen Punkt, über den ich öfter nachdenke, nämlich die Grundproblematik der steirischen Sprache: Heißt es Motorboooot oder Motooooorboot. Ich weiß nur, dass es da einen wunderbaren Schlager gibt. Motorboooot, Motorbooot, nicht. Ich habe nie richtig gebellt, weil in Graz ist das nicht so. Aber ich bin froh, wenn Leute einen Dialekt sprechen, weil das ist das, was sie mit ihrer Heimat verbindet.

Als Journalist ist die Welt ihr Betätigungsfeld, aber gibt es zumindest Seitenblicke auf die Vorgänge in der Heimat? Wie nehmen sie die Steiermark wahr? Alles in Ordnung?

Ja klar, die Steiermark nehme ich über Sturm Graz wahr. Weil ich bin Mitglied des Sturm-Kuratoriums. Und der Landeshauptmann wohnt in Passail, und dieser Ort ist nicht weit weg von der Teichalm. Ich glaube bei allen Problemen und Herausforderungen kann man in der Steiermark zufrieden sein. Nach oben gibt es immer Luft. Aber wenn ich mir anschaue, wo ich oft tätig bin, dann ist die „Grüne Mark“ noch immer etwas, das ein richtiges Refugium ist.

Die Steiermark gilt – vom Dachstein bis zu den Weinhügeln – als einzige Genussregion. Was lieben Sie hier kulinarisch besonders?

Wir machen dieses Interview ja im „Sorger-Hof“ in Frauental an der Lassnitz. Ich darf keine Werbung für bestimmte Produkte machen, aber ich bin schon als Kind mit einer gewissen Sorte von Extrawurst aufgewachsen, weil es die im Geschäft meiner Mutter gab. Dann kommt natürlich der Käferbohnen-Salat, das Verhackerte, der steirische Tommerl dazu. Ich würde mich noch viel mehr dazu hinreißen lassen, wenn die Herausforderung nicht so groß wäre, dass ich dann noch eine Kleidergröße mehr brauche. Der steirische Wein natürlich und Kernöl sowieso. Das ist etwas, was ich auch immer wieder hergeschenkt habe. Also die steirische Küche ist schon verdammt gut.

Sie haben angekündigt, mit 65 in Pension zu gehen und der beste Großvater zu werden, den man sich vorstellen kann. Wie wird man bester Großvater? Und was haben sie in der Pension sonst noch vor?

Also „bester Großvater“ ist ein tägliches Arbeiten. Und auch ein bisserl draufkommen, dass es manchmal besser ist, auf einen Live-Einstieg zu verzichten als auf einen Tag im Schwimmbad mit der Enkelin. Das ist auch ein Lernprozess. Und ich bin dankbar für den Spruch, dass „Enkel Gottes zweite Chance“ sind. Ich bemühe mich, auf sie einzugehen. Ich habe da auch ein Vorbild. Mein Schwiegervater war zum Beispiel ein phantastischer Großvater. Es kommt auch dazu, dass man eine gewisse Altersweisheit und Toleranz bekommt. Unsere Enkelin ist bei uns genauso zu Hause wie bei ihren Eltern.

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