Adventmarkstimmung in der Erlebnisregion Graz | © TV Erlebnisregion Graz | Tom Lamm Adventmarkstimmung in der Erlebnisregion Graz | © TV Erlebnisregion Graz | Tom Lamm

Verklärte Erinnerung

  • 2 Minuten Lesezeit
  • Advent, Christbaum, Graz
Die Erinnerung macht milde. Die Gegenwart aber manchmal auch. Ich weiß nicht, wie es Ihnen so mit der Vergangenheit geht, aber die Winter meiner Kindheit waren zauberhaft.

Wenn ich zurückdenke, sehe ich in der Sonne glitzernde weiße Landschaften vor mir, in denen unablässig Ski gefahren, gerodelt, Schneemänner und Iglus gebaut wurden, und wenn uns das zu fad war, rutschten wir auf ausrangierten Plastiksäcken den Hügel hinunter, bis wir pitschnass bis hinauf zu unseren Krägen waren. Dann liefen wir nach Hause und ließen uns von unseren Omas Kakao machen.
Mir ist natürlich klar, dass diese kurze Zusammenfassung jetzt meine Vergangenheit keineswegs korrekt wiedergibt, sondern ein Beispiel für die Kunstfertigkeit des menschlichen Gedächtnisses darstellt, Erinnerungen zu verklären. In den Wintern meiner Kindheit wird es auch Nebel, Kälte und fluchend schneeschaufelnde Väter gegeben haben. Ich habe mir nur gemerkt, was mir gefiel.
Aber den grauen, nassen Schlick, zu dem sich Schnee auf urbanen Straßen zusammenrottet, habe ich wirklich erst kennen und hassen gelernt, als ich erwachsen war und in die Stadt zog. Ich war davor gewarnt worden, beim Radfahren ja nie in die Straßenbahnschienen zu geraten („Da haut’s dich sofort um“), aber niemand hatte mir gesagt, dass sich der Schneeschlick in Kurven verhält wie ein Seifensee. Es haute mich sofort um, es war unglaublich kalt und nass und der Professor der Vorlesung, zu der ich dann trotz meines Ausrutschers tropfend und dreckig noch fuhr, wird sich darüber gewundert haben, warum sich ausgerechnet das Ding aus dem Sumpf in seine Veranstaltung inskribiert hatte. Ich lernte also, dass der Winter in der Stadt seine Tücken haben konnte.
Ich lernte aber auch ihren vorweihnachtlichen Zauber kennen. Das plötzliche Hochgefühl, das einem Maroni- oder Lebzeltduft aus einem Kiosk oder Chorgesang aus dem Landhaushof bescheren können. Die Euphorie, die sich spontan überträgt, wenn man einem ausgelassenen italienischen Touristengrüppchen hinterherdackelt, das extra für Krippenschau und Weihnachtsmärkte in die Stadt gekommen ist. Die Aufregung der Kinder beim Rodeln auf der Passamtswiese oder am Eingang vor dem Cirque Noël.
Und obwohl ich eine Zeit lang zu den Leuten gehört habe, die sich über den Rummel an den Getränkehütten mokierten, freue ich mich heute nach zwei Pandemiewintern über das fröhliche Brummen der Menge vor den Glühweinstandeln. Letztlich geht es dabei ja vor allem um das Zelebrieren des Kommunalen, warum also nicht mit etwas Heißem, Süßen, Pickigen zwischen den Fingerchen. Kann ja auch Kakao sein, wie damals von der Oma. Ich rate nur allen, die beim winterlichen Outdoorfeiern mitmachen, zu festen Schuhen mit dicker Sohle. Es steht sich einfach besser.
Auch wenn die schneearmen, warmen Winter der letzten Jahre mit dem fürchtenswerten Schneeschlick ja gut aufgeräumt haben. Jetzt geht er mir fast ab. Wie gesagt, Erinnerung verklärt.

Dieser Beitrag ist in Kooperation mit der Kleinen Zeitung entstanden.