Pionier in der heimischen Gastroszene: Spitzenkoch Heinz Reitbauer.  | © STG | Elisabeth Stolzer Pionier in der heimischen Gastroszene: Spitzenkoch Heinz Reitbauer.  | © STG | Elisabeth Stolzer
Heinz Reitbauer

Herzgeschichte 26:  Wie Vielfalt die heimische Küche belebt

Mehr als 400 essbare Pflanzenarten wachsen rund um das Steirereck am Pogusch. Heinz Reitbauer kennt sie alle und setzt sich mit seiner Familie dafür ein, dass auch seine Gäste wieder erkennen, welche schmackhaften Schätze in der Steiermark zu Hause sind. 

50 Jahre Pogusch, 30 Jahre Steirereck am Pogusch - Bitte erzählen Sie uns doch zu Beginn einmal: Wie hat hier oben alles angefangen?

1992 hatte meine Familie die Möglichkeit, diese Landwirtschaft mit dem Gasthaus darauf zu erwerben. Das Ziel meiner Eltern war damals beides gemeinsam zu betreiben, so wie man es von früher gewohnt war. Heute ist es ja nicht mehr so üblich, dass man diese zwei Bereiche zusammen bewirtschaftet. Meine Eltern sind gebürtig von dieser Gegend, meine Mutter ist quasi fast Nachbarstochter, könnte man sagen. Und es ist hier einfach unsere Heimat.

In den letzten Jahren hat sich diese Heimat ganz schön verändert.

Ja, absolut. Wir haben 1996 aufgesperrt und dann immer wieder was getan. Am Anfang war es wirklich nur Landwirtschaft und Gastronomie. Ein paar Jahre später sind Hütten in der Umgebung frei geworden und wir haben begonnen, die zu Unterkünften für unsere Gäste umzubauen. Der letzte Schritt war jetzt eben die Erweiterung mit den Glashäusern. Wir wollten eine lebendige Landwirtschaft schaffen, nicht nur in Bezug auf die Fleischproduktion, sondern auch im agrarischen Bereich. Wir bauen seit einigen Jahren Erdäpfel selber an. Und jetzt durch die Glashäuser haben wir es geschafft, rund um unser Haus über 400 verschiedene essbare Pflanzen zu kultivieren. Die uns dann natürlich auch in unserer Küche bereichern.

Vielfalt als Schlüssel zum Geschmack

Wie kann man sich das vorstellen: Wie verarbeitet man überhaupt 400 verschiedene Lebensmittel?

Wir wissen, wo wir was haben. Wir führen da eine Liste und versuchen dann mit diesen Produkten zu arbeiten. Im Moment verarbeiten wir zum Beispiel gerade die letzten Maibeeren. Das ist ja auch etwas, das auch dem Gros der Köche verloren gegangen ist. Die meisten Menschen kennen das Produkt nicht – nicht einmal die Menschen aus der Branche. Geschweige denn unsere Gäste. Außer ein paar vielleicht, die sich damit wirklich auseinandersetzen. Und wir wollen einfach nur vor Augen führen, wie viel Geschmack in unserem Land stecken kann.

Letzten Endes geht es darum, diese Vielfalt und diesen Geschmack langfristig in der Küche zu verankern. Bei uns arbeiten viele Menschen, die hierherkommen, um genau das zu lernen. Wir wollen dieses landwirtschaftlich-kulinarische Zentrum sein, wo genau das gelebt wird. Und wenn ich da rausschaue, sehe ich gleich einmal 10, 15 verschiedene essbare Dinge – mehr als nur Liebstöckel, Schnittlauch oder Golden Delicious. Sondern Dinge, die man vielleicht vergessen hat. Oder Dinge, die es schon mal gegeben hat, alte Varietäten. Oder auch Dinge, die jetzt durch Klimaveränderung bei uns möglich sind. Und das macht das aus, was für uns eine gelebte Gastronomie ist. Wir selbst wollen natürlich auch immer wieder in Kontakt kommen mit neuen Geschmäckern. Wir verstehen Gastronomie ein bisserl weit gefasster als nur die Verabreichung von Speisen und Getränken.

Wie behält man bei so einer Vielfalt die Verbindung zur Tradition? Weil Pogusch verbinden viele immer noch ganz klassisch mit: Wiener Schnitzel, Schweinsbraten, etc..

Wir machen das auch, das ist ein ganz ein wichtiger Bestandteil. Alles was wir machen, gründet sich in der Tradition. Aber ein Unterschied ist zwischen einem nur „Bewahren“ der Tradition und einem Wertschätzen und Weiterentwickeln.  Wir sehen die Aufgabe darin, dass man das wertschätzt, aber auch weiterentwickelt.

© STG | Antonia Leopold
© STG | Antonia Leopold

Mehr Hobby als BEruf

Das bedeutet dann wahrscheinlich auch, dass man in der Küche viel ausprobieren muss?

Das ist so, ja. Das gibt ja neben der intensiven Arbeit, die wir in der Gastronomie haben, einen unfassbaren Mehrwert. Deshalb kommen die Menschen zu uns und arbeiten bei uns.

Fachkräftemangel ist also kein Problem bei Ihnen?

Ich glaube Fachkräftemangel ist das allgemeine Thema unserer gesamten Generation und Zeit. Nicht nur unserer Branche – die Gastronomie ist sehr speziell. Aber um es so zu sagen: Es geht uns relativ gut. In der Küche sind wir gut besetzt, aber im Service sind wir auch auf der Suche. Aber es ist noch ok. Wir müssen noch keine Leistungen einschränken. Aber wir würden uns gerne noch schneller entwickeln. Und das geht natürlich nur mit vielen guten Mitarbeitern. Das ist ein Thema. Ich glaube, es gibt keine Branche, die das Problem momentan nicht hat.

Würden Sie Ihren Kindern raten, in die Gastronomie zu gehen?

Meine Kinder werden da nicht gedrängt. Ich habe zwei Kinder, die bald davor stehen, sich zu entscheiden. Aber das ist ein Beruf, den man nur mit voller Hingabe machen kann. Man hat in der Gastronomie – so wie wir sie verstehen – kein Arbeits- und Privatleben. Das ist ein gesamtes Paket. Und wenn man diese Leidenschaft aufbringt, dann ist es mehr Hobby als Beruf. Vielleicht muss man auch irgendwie berufen sein dafür. Also ich glaube, dass Menschen, die ein vielfältiges, genussreiches, abwechslungsreiches Leben haben wollen und sich gerne mit Menschen umgeben, in der Gastronomie wunderbar aufgehoben sind. Wir würden diesen Beruf jederzeit wieder ergreifen. Wir tun genau das, was wir uns wünschen. Wir sind ja Montag bis Freitag in Wien und am Wochenende da. Nicht, weil wir das müssen, sondern weil das genau das ist, was wir tun wollen. Und das ist deswegen so, weil wir uns permanent verändern. Es gibt wenige Berufe, wo das so intensiv möglich ist.

Hier trifft Tradition auf Moderne: Das Steirereck am Pogusch. | © STG | Elisabeth Stolzer

Blick über den Tellerrand 

Woher kommt bei Ihnen das Interesse am Thema Nachhaltigkeit bzw. wie nähren Sie es?

Bei uns hat es damit zu tun, dass meine gesamte Familie einen landwirtschaftlichen Hintergrund hat. Das gibt schon einmal eine grundsätzlich andere Wertschätzung für Lebensmittel. Und diese Wertschätzung steht über allem, was wir tun. Da gehe ich automatisch anders damit um. Das Thema Nachhaltigkeit ist ja ein Modewort, das vor 20 Jahren in unserer Gesellschaft Fuß gefasst hat. Aber das war immer Bestandteil eines bäuerlichen Verständnisses. Kein Bauer hat nur an die nächste Ernte gedacht. Das ist ein ganz ein normaler Lebenszyklus, den wir versuchen, genauso weiterzuleben und auch an das Übermorgen zu denken. Und da gehört eben in der heutigen Zeit diese Wertschätzung dazu, aber auch der Blick über den Tellerrand.

Wenn jetzt eine Person anfangen möchte, sich mit diesem Thema zu beschäftigen: Wo beginnt man da?

Wir haben in den letzten Jahrzehnten durch unseren Wohlstand leider sehr viel Bezug verloren. Bezug zur Natur, Bezug zur Landwirtschaft, Bezug zu Lebensmitteln. Wir wissen nicht mehr, wie sie erzeugt werden. Wir sind in der Schule konstant gebildet worden, vielleicht hätten wir anfangen sollen, auf eine Hühnerfarm zu reisen und zu einem Biobauernhof. Um zu sehen, wie und wo das Lebensmittel, das wir täglich zu uns nehmen, produziert wird. Es ist eigentlich unverständlich, wie sich eine Gesellschaft so derart von ihrer Nahrung entfremdet hat.

Ich glaube, es ist höchste Eisenbahn, dass wir hier eine Kehrtwende machen und es ist ganz schwer, wenn man mitten im Leben steht. Aber es ist nie zu spät. Und es ist ganz wichtig, dass wir bei der nächsten Generation ansetzen. Dass wir unseren Kindern wieder die Freude am Essen zurückgeben, den Geschmack lehren, die Schönheit der Natur und erst dann kommt alles andere.

Wenn Sie an das Grüne Herz denken: Was verbinden Sie persönlich damit?

Es war immer das Symbol der Steiermark für mich und es gibt eine sehr klare Botschaft, würde ich mal sagen. Wir sehen das ähnlich – Wir sehen, dass die Steiermark, hier oben am Pogusch ganz besonders, dieses grüne, persönliche Herz ist. Das wir, in dem was wir tun, auch weiterentwickeln wollen. Den Menschen zeigen: Wie kann Landwirtschaft, wie kann Kulinarik sich weiterentwickeln? Wie kann sie diverser werden? Das ist sehr wichtig. Das wir verstehen, dass sich die Gastronomie und die Kulinarik eines Landes davon nähren, welche Produkte dort angebaut werden. Wir sehen es als unsere Aufgabe, das weiterzuentwickeln – mit der Vielfalt, die uns das Land gibt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person 

Heinz Reitbauer wurde 1970 in Wien geboren und zählt zu den besten Köchen Österreichs. Nach dem Besuch der Hotelfachschule im bayrischen Altötting begann er seine Lehre im Restaurant seiner Eltern, dem "Steirereck" in Wien. 1996 eröffnete er als Chef de Cuisine das Steirereck am Pogusch, 2001 übernahm er schließlich die Geschäftsleitung von seinen Eltern. 

Zusammen mit seiner Frau Birgit führt er mittlerweile beide Betriebe. Das Steirereck in Wien wurde bereits mehrmals als bestes Restaurant Österreichs ausgezeichnet. Zum 13. Mal in Folge zählt das Restaurant außerdem zu den "50 Best" weltweit. Heuer belegte es Rang 13. 

Mehr über das Steirereck am Pogusch kann man auch in unserem Online-Magazin nachlesen.